Es gab so etwas ja schon immer, in jeder Branche:
Durch künstliche Verknappung der Waren bei gleichzeitiger intensiver Werbung wird ein Hype erzeugt, der uns Konsumenten zum sofortigen Kauf eines Produkts nötigt.
Das Phänomen ist nicht neu, die Dimension, die es in der analogen Gaming-Community zur Zeit annimmt, hingegen schon.
FOMO – Fear Of Missing Out
Fomo, die „fear of missing out“ kann man übersetzen mit „Angst, etwas zu verpassen“, oder vielleicht auch einfach als „Torschlusspanik“. Schnell kaufen, schnell zuschlagen, bevor es zu spät ist! „Dieser Artikel ist nur begrenzt verfügbar, limitierte Auflage, greifen Sie zu!“
Die psychologischen Mechanismen sind gemein, weil sie immer wirken.
Ist ein Gegenstand permanent verfügbar, dann kaufen wir ihn nur, wenn wir ihn auch brauchen oder wirklich, wirklich haben wollen: Brot und Butter kaufen wir, wenn der Vorrat zur Neige geht, in der nötigen Menge. Aber wenn die Gefahr bestünde, dass es morgen kein Brot mehr geben könnte, dann rennen alle gleichzeitig in den Supermarkt und kaufen die Regale leer, auch wenn das Brot plötzlich dreimal so viel kostet wie sonst! Das ist Fomo.
Diese künstliche Begrenzung kann dazu noch auf zwei Ebenen gleichzeitig stattfinden: materiell, also die Menge betreffend (limitierte Auflagen), und zeitlich (solange der Vorrat reicht oder etwa der Prime Day bei Amazon).
Das Schlüsselwort bei dieser Form der Begrenzung ist dabei „künstlich“, denn die Knappheiten, von denen wir hier sprechen, werden erzeugt, sie bestehen nicht aufgrund von physischen Mangel-Bedingungen, sondern aufgrund von bewusst herbeigeführter Verknappung.
Fomo ist also ein erzeugtes Phänomen, ein Marketing-Tool, und es ist mir persönlich nicht sehr sympathisch.
Einige große, global agierende Firmen treiben in der Spieleecke den Fomo-Wahnsinn gerade richtig auf die Spitze, und über eine davon möchte ich mich hier kurz ein wenig auslassen: Kickstarter
Vorweg: Ich bin will aber hier keine negative Fundamentalkritik an diesem Konzernen üben, ich kaufe auf Kickstarter ein und bin immer wieder begeistert, was die Plattform inhaltlich zu bieten hat. Aber was mir in den letzten Jahren immer stärker aufgefallen ist, will ich an dieser Stelle einfach mal in Worte fassen und festhalten.
Vielleicht hat ja der eine oder andere Leser auch eine Meinung dazu, die er hier teilen möchte: Wie immer seid ihr herzlich eingeladen, in den Kommentaren mitzureden!
Kickstarter (KS)
Die Crowdfunding Plattform Kickstarter hat das Fomo-Prinzip perfektioniert und verdient ganz gut Geld damit, dass die dargebotenen Produkte ausschließlich zeitlich begrenzt verfügbar sind. Dabei stellt Kickstarter lediglich Drittanbietern eine Plattform zur Verfügung, auf der diese ihre Produkte anbieten können, die sie schließlich mit Hilfe der gesammelten Gelder realisieren. Kickstarter selbst verdient prozentuell an den eingesammelten Geldern, stellt aber selbst nichts her.
Insofern ist Kickstarter eigentlich ein Einkaufsportal, ein wenig Händler auf der einen Seite, ein wenig Bank auf der anderen. Sehen wir uns das genauer an.
Kickstarter wirbt zwar damit, kreative Projekte zu unterstützen, die meisten Produkte und Projekte, die auf Kickstarter erfolgreich finanziert werden, sind aber bereits so weit entwickelt, dass zu dem Zeitpunkt, wo die Unterstützer – also die Konsumenten (das sind wir) – gebeten werden, Geld ins Projekt zu stecken, kaum noch Raum für wirklich kreative Entwicklungen bleibt.
Die Produkte, die auf Kickstarter wirklich viele Unterstützer anziehen und damit eine Menge Geld einnehmen (zum Teil Millionen von Euros und Dollars), sind jene, die ohnehin bereits fertig konzipiert sind. Der kreative Prozess ist meist bereits die Vorleistung der Firmen, die auf Kickstarter ihre Produkte verkaufen wollen.
Wofür die Unterstützer in Wahrheit ihr Geld geben, ist also nicht die kreative Entwicklung von Ideen, sondern deren Realisierung, und zwar in eine für den Anbieter möglichst risikofreie Realisierung eines Projekts, und das sollten wir als Backer (Unterstützer) wissen.
Kreditvergabe
Im Grunde ist das, was wir als Backer bei Kickstarter machen, wenn wir ein Projekt mit unserem Beitrag unterstützen, nichts anderes, als eine Menge Kleinkredite für dessen Realisierung an Firmen zu geben und dabei als Konsumenten zugleich das finanzielle Risiko zu übernehmen.
Es gibt auf Kickstarter explizit keinerlei Garantie dafür, dass die Firmen, denen wir unser Geld geben, auch tatsächlich ein angemessenes Produkt innerhalb einer bestimmten Zeit dafür liefern.
Als Kompensation für dieses in Summe nicht unerhebliche Risiko erhalten wir als Unterstützer eine gewisse Gegenleistung: Entweder gibt es Exklusivprodukte, oder uns wird versprochen, unsere Spielschachtel früher zu erhalten als all jene, die sie schließlich im freien Handel kaufen werden.
Nach ein paar Jahren Kickstarter hat sich aber mittlerweile gezeigt, dass selbst vermeintliche Exclusiv-Produkte nach einem gewissen zeitlichen Abstand dann doch oft im freien Handel verfügbar gemacht werden; die Firmen haben das Produkt bereits produziert, weshalb sollten sie es nicht auch noch einmal verkaufen? Und der zeitliche Abstand zwischen einem Kickstarter-Release (wenn die Post das Paket vor unserer Haustür abstellt) und dem Einzelhandels-Release ist manchmal gar nicht mehr vorhanden.
Vor allem, wenn große Firmen wie eben etwa CMON (mit der Zombicide-Reihe) oder Awaken Realms (Tainted Grail, Nemesis, Etherfields – mittlerweile auf der eigenen Crowdfunding Plattform Gamefound unterwegs) das gesamte Produktionsrisiko auf ihre Kunden abwälzen, ist diese Praxis zumindest fragwürdig und sollte uns als Konsumenten bewusst sein.
Es besteht hier zwar weniger die Gefahr, dass die Protagonisten mit unserem Geld einfach untertauchen, die Firmen haben bereits in der Vergangenheit gute Produkte geliefert, aber der vermeintliche Mehrwert einer Kickstarter-Unterstützung ist oft tatsächlich nicht gegeben, wenn etwa Spiele bereits im Handel erschienen sind, bevor die Unterstützer ihre Lieferung erhalten.
(Eine Ausnahme sind vielleicht die sogenannten Delux-Editionen von Spielen, die dann mit Metall-Münzen, extra Minis und verbessertem Kartenmaterial etc. daher kommen. Allerdings bezahlen die Backer für diese Sondereditionen auch noch einmal gehörig in den verschiedenen Pledge-Levels[1] drauf.
Spiele auf Kickstarter
Ich habe in den letzten Jahren wirklich viele Spiele unterstützt und werde das wohl auch noch weiterhin tun. Denn eines ist wahr: Es gibt jede Menge echt cooler Spiele da draußen, und viele davon sind außerhalb von Kickstarter oft nicht einfach erhältlich.
Nur, dass das nicht immer stimmt!
Die großen, guten, fetten Spiele, die mit Hilfe von Kickstarter finanziert werden, sind oft längst nicht mehr exklusiv! Vor allem jene, die massiv Geld absammeln und zigtausende von Backern finden, kommen mittlerweile so gut wie immer nach einiger Zeit auch in den regulären Handel! Und wer so lange warten kann, hat zusätzlich noch den Vorteil, dass er nicht nur einer Werbebroschüre vertrauen muss, sondern sich auf Bewertungsportalen wie etwa Boardgamegeek.com anschauen kann, ob das fertige Spiel auch tatsächlich etwas taugt.
Die Firmen locken uns zwar weiterhin auf Kickstarter mit Zusatzinhalten (Stretch-Goals und Add-Ons), aber ich denke in letzter Zeit vermehrt darüber nach, ob der vermeintliche Zugewinn an Inhalt das zeitliche Investment und Risiko wirklich rechtfertigt, wenn ich ein Projekt unterstütze.
Schließlich sind hundert Euro schnell mal weg auf Kickstarter, und das Produkt kommt dann fast immer erst nach eineinhalb Jahren oder noch viel später. In der Zwischenzeit könnte man einiges anstellen mit diesem Geld: zum Beispiel Spiele kaufen, die es im Handel gibt, und damit auch noch den lokalen Spieleladen unterstützen!
Ein konkretes Beispiel:
Zombicide – Invader, (von CMON): Ich hatte das Projekt unterstützt, mit einem Beitrag von 100US$, was ziemlich genau dem Betrag entspricht, den das Spiel heute im Handel plus Versand kostet. Gut, ich habe ein paar extra Miniaturen dazu erhalten (Kickstarter Exclusives), habe aber zugleich auch eineinhalb Jahre auf die Lieferung gewartet.
Das Spiel habe ich dann tatsächlich ungefähr zur selben Zeit erhalten, wie es im Handel erschienen ist und plötzlich für alle frei verfügbar war.
Die zeitliche Exklusivität war als Mehrwert also schon mal verpufft.
Das ist übrigens auch so eine Sache bei Kickstarter: Kaum jemals wird ein Spiel zu dem Zeitpunkt fertig, der ursprünglich im Projekt veranschlagt war. So gut wie immer gibt es Verzögerungen, nicht selten für mehrere Monate, manchmal sogar Jahre, und das ist keine Übertreibung. Aber zu diesem Zeitpunkt ist mein Geld bereits abgebucht, ich kann nichts tun außer warten.
Warum aber unterstütze ich dann immer wieder Projekte auf Kickstarter?
Zum einen ist es immer wieder schön, Geschenke zu bekommen, auch wenn man sie sich selbst gemacht hat! Der Postbote bringt ein Paket, und man hat keine Ahnung was drin sein könnte, weil man längst vergessen hat, was man vor Ewigkeiten einmal gekauft hat. Herrlich! (Das ist sozusagen die Antithese zu Amazon Prime…)
Eine bessere Antwort ist aber sicherlich Fomo, also zurück dazu.
Der Kampagnen-Timer
Kickstarter Kampagnen sind immer zeitlich begrenzt, meist laufen sie etwa 30 Tage lang, es kann aber auch kürzer oder länger sein.
Wer das Projekt in diesem Zeitfenster nicht mit seinem Geld unterstützt, hat danach keine Gelegenheit mehr, das zu tun. Es gibt nach Abschluss der Kampagnenlaufzeit keine Möglichkeit mehr, in das Projekt einzusteigen, wenn man nicht bereits drin ist.
Selbst, wenn man nur überlegt, ob man das Projekt unterstützen soll und eventuell gar nicht zu hundert Prozent überzeugt ist, dass man es wirklich haben will: Was, wenn das Spiel dann doch das beste Spiel aller Zeiten wird, und man ist nicht dabei?!
Das ist ein klassisches Fomo-Setup.
Dazu kommen all die versprochenen Exclusiv-Inhalte: Zusätzliche Minis, Tokens aus Plastik statt aus Pappe (Mehrwert umwelttechnisch hinterfragbar, anderes Thema), Dein Name auf der Spielschachtel!
Man kann ja oft gar nicht anders, als sein Geld bei Kickstarter aus dem Fenster zu werfen!
Wie begegne ich nun dieser Angst, etwas zu verpassen?
Erstens: Ich steige nicht gleich ein in jede Kampagne, sondern merke sie mir erst einmal vor und lasse ein paar Tage vergehen. Selbst wenn mir die Kampagne noch so gut gefällt, warte ich erst einmal ein wenig ab. Zeit ist hier ein guter Ratgeber, weil er diesen Angsteffekt etwas aushebelt.
Zweitens: Ich schaue mir all die Kampagnen an, die ich mir bereits früher mal gemerkt habe, und die ich oft auch nicht unterstützt habe. Beim größten Teil davon war es im Nachhinein nicht tragisch, dass ich kein Geld dafür hergegeben habe. Ein Wunder, eine Erkenntnis: Ich brauche nicht alles, was es gibt!
Manchmal ärgere ich mich aber auch wirklich, dass ich nicht schnell genug war und ein wirklich tolles Projekt verpasst habe. Aber so ist das nun mal, und das Leben geht trotzdem weiter, und der Schmerz währt nur kurz.
Drittens: Ich schaue ich mir die aktuelle Kampagne noch ein paarmal an. Was gefällt mir daran? Gibt es etwas, das mich stört?
Das ist mittlerweile ein Killer-Kriterium: Mich stört etwas? Danke, brauch ich nicht.
Wenn mich nichts stört, frage ich trotzdem: Brauche ich das Spiel wirklich? („Natürlich!“) Wirklich? („Hmm.. Natürlich!“) Vielleicht habe ich genau so etwas schon in meiner Sammlung (ich wollte schon sagen „rumliegen“), und brauche nicht nochmal genau das gleiche? („Doch! Doch! Doch!“)
Naja, und dann kaufe ich das Spiel halt, weil es ja sein könnte, dass ich sonst etwas verpasse, oder?!
Ein verwandtes Thema hier wäre Games Workshop mit seiner aggressiven Marketing Strategie, die Fomo wirklich auf die Spitze treibt. Dazu aber ein andermal.
In der Zwischenzeit wünsche ich viel Spaß beim Einkaufen mit kühlem Kopf, vor allem aber viel Spaß beim Spielen!
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Referenz-Links:
Boardgamegeek: https://www.boardgamegeek.com
Kickstarter: https://www.kickstarter.com/
Gamefound: https://gamefound.com/
Games Workshop: https://www.games-workshop.com/de-AT/Ziel
[1] Pledge ist bei Kickstarter und Gamefound der Unterstützungsbeitrag des Backers; Pledge-Levels sind verschieden hohe Beiträge, für die es entsprechend unterschiedliche Belohnungs-Ränge gibt.
Bestelle Spiele und andere Produkte gerne über die folgenden Links – und unterstütze damit den Spiele Baron!
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(Offenlegung: Als Amazon-Partner verdiene ich an qualifizierten Verkäufen.)