Spiele mit App-Anbindung – Was taugen sie?

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Descent: Legends of the Dark (in der Fangemeinde auch 3rd Edition genannt) steht kurz vor der Veröffentlichung (geplant Q2 2021) und das nehme ich hier mal zum Anlass ein Schlaglicht auf eine Strömung im Brettspiel- und Tabletop-Hobby zu werfen, die sich in den letzten Jahren immer mehr verstärkt hat.

Brettspiele entwickeln sich immer weiter, das ist nur natürlich. Neue Spielmechaniken und überraschende Kombinationen bekannter Möglichkeiten halten unser Hobby frisch und vital. Und nun halten auch Tablets und Smartphones Einzug in die eigentlich analoge Welt der Spieltische, manche mit mehr, manche mit weniger Erfolg.

Doch wie gut funktionieren diese App-Einbindungen tatsächlich?

Und ist das als eine positive Entwicklung zu bewerten, oder sollten wir an unseren Spieltischen lieber die Finger von Handy und Co lassen?

Was bisher geschah:

Descent – Die Reise ins Dunkel (2te Edition) und Star Wars: Imperial Assault

Zu den bekanntesten App-Einbindungen, welche direkt vom Hersteller der Brettspiele bereitgestellt werden, zählen wohl die beiden Gassenhauer Descent – Die Reise ins Dunkel (in der Zweiten Edition) und Star Wars – Imperial Assault (beide Spiele von FFG[1]), welche dem Kampagnenmodus der originären Offline-Variante eine neue Variante zur Seite stellen, die den Spielern ein kooperatives Eintauchen in eine von der App geführte Geschichte ermöglicht.

Die Spiele sind in verschiedenen Modi spielbar:

  • Ein bis vier Heldenspieler kooperativ gegen einen Overlord im Kampagnenmodus;
  • ein bis vier Heldenspieler in einem Einzelszenario gegen eine Spiele-KI[2], welche die Spieler selbst bedienen müssen (in drei erhältlichen Pod-Erweiterungen für Descent)[3];
  • ein bis vier Spieler gegen eine App, welche die Szenarien managet, die Buchhaltung über Monster- und Helden-Stats[4] führt und den Fortgang der Geschichte dokumentiert.

Das gibt den Spielern eine Menge Möglichkeiten, mit all dem Material umzugehen, das die Spielschachteln mitbringen (vor allem, wenn man die Erweiterungen mitzählt).

Ich selbst spiele heute noch alle drei Varianten gerne:

In der Gruppe, wenn wir Szenarien oder Kampagnen aus den Abenteuerheften spielen, gebe ich fast immer den Overlord bei Descent bzw. die imperiale Seite bei Imperial Assault. Ich stelle die Mitspieler gerne vor Herausforderungen, bringe sie in brenzlige Lagen, stelle übermächtige Gegner aufs Feld und genieße die besorgten Blicke und Diskussionen, die das auslöst!

Aber auch als Teil der Gruppe die Geschichte direkt zu erleben ist wunderbar: Mit Hilfe der App wird eine Story ausgewählt, und wir schlagen uns gemeinsam durch die Welt, die sich entfaltet, ohne, dass jemand den Bösewicht übernehmen muss.

Und nicht zuletzt sind selbst die erwähnten kleinen Pod Erweiterungen für Descent interessant, vor allem im Solo-Modus. Dabei baue ich einen sich zufällig entwickelnden Dungeon auf, bediene die KI händisch und bin Spieler und Operator in einem.

Villen des Wahnsinns

Die Villen des Wahnsinns, wieder ein FFG-Titel, haben beim Umstieg von der ersten auf die zweite Edition vollständig auf App-Integration umgestellt, der „Keeper“ (sehr ähnlich dem Overlord bei Descent oder dem Spieler der Imperialen Seite bei Imperial Assault) fiel dabei komplett weg.

Das machte das Spiel im Vergleich zur ersten Edition sehr viel weniger aufwendig, was das Setup und den Fortgang der Story anbelangte. Diese Umstellung nahm den Spielern aber auch die Möglichkeit, sich im Kampf direkt gegenüber zu treten: Das Spiel ist in der nun nur noch kooperativ spielbar – nicht für jeden ein negativer Punkt, aber für eher kompetitive Spieler eben schon.

Das ist auch der Grund, warum ich immer noch meine erste Edition behalte, obwohl das Spiel mit der App wirklich sensationell gut funktioniert: Ab und an will ich eben auch der Böse sein, nicht immer nur ein Held. Außerdem besitzt ein Freund in meiner Spielegruppe die komplette zweite Edition… 😊

Die Welt von Descent

Der Titel Descent spielt in der Fantasywelt von Terrinoth, einer originären Welt, die FFG als Pendant zu anderen Spielwelten wie etwa dem D&D Universum oder dem von Pathfinder entworfen hat, um eine eigene IP[5] zu haben, die von der Firma vermarktet werden kann.

Diese Welt ist bevölkert von allen möglichen Wesen, die wir aus der Fantasy kennen: Zwerge, Elfen, Orks, Drachen, Gnome, Schurken, Wölfe, Geister, Riesen etc. Es existieren in dieser Welt mittlerweile eine ganze Reihe von Spielen abseits von Descent selbst, wie etwa das Kartenspiel Helden von Terrinoth und die Brettspiele Runebound, Runewars und Battlelore.

Descent ist aber das mit Abstand erfolgreichste Spiel der Reihe, mit einer wahren Unmenge an Erweiterungen.

Vorgänger

Descent – Journeys in the Dark, 1st Edition; (Foto CC, Attribution Share Alike: https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0)

2005 kam Descent Journeys in the Dark auf den Markt und entwickelte sich in der Spielegemeinde schnell zu einem Geheimtipp für brettspielbasiertes Rollenspiel. Die Schachtel war riesig, der Inhalt umwerfend und ließ die Spieler in ein komplexes Abenteuer eintauchen, mit Spielfiguren aus Plastik, Karten, Spielbrett und einer Geschichte, die man durchspielen und damit wirklich erleben konnte.

Gleichzeitig wuchs die Spielegemeinde und immer mehr Spieler interessierten sich für die Welt abseits von Mensch-ärgere-dich-nicht, Monopoly und Risiko.

Doch das Ungetüm, das Descent in der ersten Edition war, schreckte viele Spieler vom Kauf ab. (Ich weiß, wovon ich spreche, ich war damals einer von denen, die einen Bogen um diese riesige Schachtel machten.)

2012 brachte FFG dann den Nachfolger auf den Markt, und dieser richtete sich nun an ein breiteres Publikum. Die Regeln waren etwas vereinfacht worden, die Handhabung und das Setup des Spiels war nun übersichtlicher, und gleich zu Beginn führte eine Tutorial-Mission die Spieler in die Regeln und in die Welt zugleich ein, sodass man schnell loslegen konnte. Außerdem war die Größe der Schachtel auf ein verhältnismäßig normales Maß geschrumpft. Descent war nun „gestreamlined“.

Diese Edition hat mittlerweile acht Jahre bestanden und eine wahre Unmenge an Erweiterungen hervorgebracht, die der werte Kunde kaufen darf, wenn er vom Spiel begeistert ist. Außerdem ist das Spiel Vorlage für viele andere gewesen, die auf seinen Grundkonzepten heute aufbauen.

2016 kam dann die App dazu: Road to Legend bot eine neue Kampagne, nutzte die bestehenden Komponenten dafür und erweiterte so das Spiel.

Und jetzt kommt ein neues Descent: Legends of the Dark

Gleich vorweg, dass eine Firma davon lebt, dass sie Geld verdient, ist selbstverständlich. Und der Content, den FFG uns bisher geliefert hat, ist in meinen Augen überwiegend als hochwertig und gut zu bewerten.

Was ist denn nun aber neu bei diesem Spiel, das laut Hersteller ein eigenständiges sein will und keine Dritte Edition des Vorgängers Descent?

Das Spiel sieht wieder einmal sensationell aus, soviel kann man anhand der Werbefotos und -videos bereits sagen. Ein Spielbrett, das sich auch vertikal erhebt und nicht nur flach auf dem Spieltisch liegt? Wow, das ist neu, das hatten wir meines Wissens nach noch nie in dem Genre! Es erinnert mich ein wenig an das mehrstöckige Schachspiel aus der Serie meiner Kindheit Raumschiff Enterprise, von dem ich glaubte, ich könnte es nie in Wirklichkeit erleben!

Was mir nicht so gut gefällt

Da ist einmal der Umstand, dass die Komponenten der Zweiten Edition nicht in diesem Spiel verwendbar sein werden. Das mag jemandem, der neu in das Spiel einsteigt, egal sein, für mich aber würde es bedeuten, dass ich von vorne anfangen muss:

Ich besitze fast alle Erweiterungen zur Zweiten Edition, und mittlerweile sind auch fast alle Miniaturen bemalt und spielbereit. Das sind Stunden und Tage Arbeit, die ich in das Set gesteckt habe! Und jetzt soll ich ein neues Spiel kaufen, mit neuen Figuren, die ich wieder anmalen muss? Ist das wirklich nötig?

(Ja, ich weiß, ich muss das Spiel nicht kaufen, und ich muss die Miniaturen nicht anmalen, danke für den Hinweis. 😉 )

Was mir aber tatsächlich noch weniger gefällt, ist, dass sich das Spiel ohne App nun gar nicht mehr spielen lässt. (Diese Kritik trifft auch auf die Villen des Wahnsinns in der Zweiten Edition zu.)

Vordergründig ist das natürlich cool und bietet eine Menge Vorteile, die ich auch bereits angesprochen habe. Die App übernimmt die Buchhaltung, das Spiel läuft flüssiger und schneller, weil man weniger Tokens rumschieben und Zeug aus der Schachtel heraussuchen muss, bevor man sich wieder der Geschichte widmen kann.

Und die Erzählung schreitet nicht nur automatisch voran, die meisten Story Elemente werden wohl auch moderiert, die Textelemente werden also (hoffentlich?) auch von der App vorgelesen: Man kann sich zurücklehnen und sich von einem professionellen Sprecher einstimmen lassen, bevor man selbst ins Abenteuer einsteigt. Lässig. (Das erwarte ich zumindest, nach dem, was die Ankündigung verspricht.)

Dass ich keinen Overlord in dem Spiel spielen kann, ist halt so, und dass es damit mit maximal 4 Spielern spielbar ist, ist auch okay. Eigentlich ist dann doch alles gut, nicht?

Aber was bedeutet das langfristig?

Das ist eine Frage, über die wir, wie ich finde, bei Spielen mit App-Integration viel zu wenig nachdenken.

Nehmen wir den besten Fall:

Das Spiel funktioniert super und wird ein richtiger Hit. Es verkauft sich, FFG wirft eine Erweiterung nach der anderen auf den Markt, online wie offline, und die Community floriert.

Das läuft dann wie lange? Ich schätze mal, im besten Fall bis zu zehn Jahre.

Irgendwann aber lässt das Kaufinteresse der Kunden nach, neue Spiele sind interessanter und der Markt ist mit Erweiterungen übersättigt. Dann muss was Neues her, und das wird die Firma auch anbieten wollen, um weiter Geschäfte zu machen.

Dann aber wird die Wartung einer App, die zu einem nunmehr alten Spielsystem gehört, zu einer Belastung, die sich finanziell nicht mehr rechnet und der Support wird schließlich irgendwann eingestellt. Denn kein Betreiber steckt Geld in die Erhaltung eines Systems, das keinen Profit abwirft.

Die digitale Welt bleibt aber keinen Moment lang stehen, wie wir wissen. Betriebssysteme und Browser werden irgendwann nicht mehr serviciert und laufen nicht mehr. Und die Hardware entwickelt sich ständig weiter und verlangt nach immer neuen Updates.

Es ist eine Milchmädchenrechnung, dass jede App deshalb auch irgendwann nicht mehr funktionieren wird, egal wie lange das auch dauern mag.

Und das ist für mich der Kern des Problems mit einer vollständigen App-Integration in Brettspielen:

Wenn ich ein Spiel kaufe, das ohne die App nicht spielbar ist, dann kaufe ich letztlich eine Schachtel, die irgendwann in der Zukunft jeden Wert verliert. Will ich das?

Fazit

Wohl gemerkt, wir reden hier von irgendwann in der Zukunft, und bis dahin kann das Spiel uns lange begleiten und eine Menge Spaß bereiten.

Ich bin auch immer noch nicht ganz sicher, ob ich das neue Descent nicht vielleicht doch kaufen soll.

 Ich bin nun mal ein Fan der Reihe, das Design ist super und auch das Gameplay kriegt FFG immer wieder so hin, dass es mich begeistert. Und das Spiel kann ja vielleicht auch wirklich lange Support erhalten, meinetwegen sogar fünfzehn bis zwanzig Jahre.

Aber dann? Oder ist mir das egal und ich lebe im Hier und Jetzt? Dann kann ich das Spiel bedenkenlos kaufen, weil es einfach jetzt gerade genial ist? Pfeif aufs Geld!?

Es würde mich wirklich interessieren, was die Spielergemeinde zu diesem Thema zu sagen hat! Hinterlasst mir also gerne eure Kommentare, vielleicht könnt ihr mir bei der Entscheidung ja helfen!

Und in einem Jahr reden wir dann vielleicht darüber, ob sich der Kauf des Spiels gelohnt hat…


[1] Fantasy Flight Games

[2] Künstliche Intelligenz: in diesem Fall ein Regelsatz, der den Spielern angibt, auf welche Weise die Gegner im Spiel agieren und so mit den Spielern interagieren; ermöglicht Solo-Spiele.

[3] Print on demand: Die Kaufbox der Erweiterung enthält einen Code, mit dessen Hilfe das PDF herunter geladen werden kann, welches die KI des Spiels enthält.

[4] „Statistische Werte“: beschreiben die Eigenschaften der Akteure im Spiel zu jedem Zeitpunkt; z.B. HP/LP (Health Points/Lebenspunkte) geben an, wie viel Schaden eine Figur etwas einstecken kann, bevor sie in den Zustand KO, tot oder ähnliches übergeht.

[5] Intellectual property: Geistiges Eigentum, urheberrechtlich relevant.


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